Beschreibung des Forschungprojekts DigiTyps

Hintergrund

Unabhängig von nationalen Unterschieden ist die geschlechtsspezifische Segregation auf dem Arbeitsmarkt in den EU-Mitgliedstaaten heute eine allgegenwärtige Realität. Sie schränkt die Lebens-, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen und Männern ein und bestimmt den Status sowie das Prestige ihrer beruflichen Tätigkeiten. Die Segregation fördert das geschlechtsspezifische Lohngefälle und verstetigt die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und die Geschlechterhierarchie im öffentlichen und privaten Bereich (EIGE, 2018a).

Die geschlechtsspezifische Segregation wird unter anderem durch Geschlechterstereotype verursacht und verstärkt zudem wiederum Geschlechterstereotype (siehe z. B. Heilman 2012). Gleichzeitig zeigt sich, dass wichtige Muster von Arbeitsmärkten, Beschäftigung und Berufen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeit einem erheblichen Wandel unterliegen. Diese Entwicklungen können zu einer veränderten – verstärkten oder abgeschwächten – Wirkung von „traditionellen“ Geschlechterstereotypen führen, und die vorherrschenden Stereotypen selbst können sich verändern (EIGE 2018b).

Die Gleichbehandlung, die Bekämpfung der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Chancengleichheit in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung standen von Anfang an auf der Agenda des europäischen Integrationsprozesses.

Erneut hervorgehoben wurden diese Ziele u.a. im Rahmen der EU-Agenda 2020, im „Weißbuch zur Zukunft Europas“ (Europäische Kommission 2017a), in der „Europäischen Säule sozialer Rechte“ (Rat der Europäischen Union 2017), im „EU-Aktionsplan 2017-2019 – Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“ (Europäische Kommission 2017b) oder in der „Gleichstellungsstrategie 2020-2025“ der Europäischen Kommission (2020). In letzterer betont die Europäische Kommission (erneut) ausdrücklich, wie wichtig es ist, Geschlechterstereotypen zu bekämpfen, da sie die Bestrebungen, die Wahlmöglichkeiten und die Freiheit von Frauen und Männern, Mädchen und Buben einschränken und weil sie stark zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle beitragen.

Zielgruppen

Die Zielgruppe des Projekts „DigiTyps“ sind (Wieder-)Einsteiger*innen in den Arbeitsmarkt, wobei der Fokus auf deren Bedürfnissen im Prozess der beruflichen Orientierung liegt. Angebote der Beratung und andere Unterstützungsleistungen für (Wieder-)Einsteiger*innen in den Arbeitsmarkt sind in Österreich vergleichsweise breit verfügbar und über verschiedene Institutionen organisiert.

Dennoch zeigt sich, dass der österreichische Arbeitsmarkt eine vergleichsweise starke geschlechtsspezifische Segregation aufweist und es gibt Hinweise darauf, dass sich diese im Zeitverlauf nicht wesentlich verringert hat (Leitner/Dibiasi 2015; Leitner et al. 2018; EIGE 2018a). Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die Beschäftigungsstrukturen jüngerer Kohorten und junger Arbeitsmarkteinsteiger*innen in hohem Maße den Mustern der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation folgen (ebd.). Dies deutet darauf hin, dass die Segregation des Arbeitsmarktes derzeit weiterhin nach Geschlechterstereotypen (re)produziert wird.

Die zunehmende Digitalisierung der Arbeit kann solche Tendenzen noch verstärken, da die in diesem Zusammenhang als wichtig erachteten Kompetenzen und Fertigkeiten von Buben und Männern oft stereotyp in höherem Maße erfüllt werden als von Mädchen und Frauen (vgl. Franken et al. 2019; Trauth et al. 2016). Dies deutet jedoch auf einen noch größeren Bedarf hin, tradierte Geschlechterstereotype und neue Geschlechterstereotype im Kontext der Digitalisierung der Arbeit zu untersuchen, zu entlarven und zu beseitigen, die in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Ausprägung erstens auf der Seite der Arbeitsmarkt(wieder)einsteiger*innen selbst, zweitens in Unternehmen, die zugleich potenzielle Arbeitgeber*innen dieser Arbeitsmarkt(wieder)einsteiger*innen sind und drittens innerhalb von Einrichtungen der Berufsorientierung und in den von diesen eingesetzten Instrumenten existieren können.

Zentrale Projektziele

„DigiTyps“ hat die folgenden zentralen Ziele:

  1. Bereitstellung von Wissen über die Wechselbeziehung zwischen Geschlechterstereotypen und wahrgenommenen berufsbezogenen Anforderungen (Fähigkeiten, Kompetenzen usw.) im Zusammenhang mit der digitalen Transformation auf Seiten der (Wieder-)Einsteiger*innen auf dem Arbeitsmarkt.
  2. Vermittlung von Wissen über den Zusammenhang zwischen Geschlechterstereotypen, wahrgenommenen und tatsächlichen beruflichen Anforderungen (Fähigkeiten, Kompetenzen etc.) und beruflichen Aufgaben im Kontext der digitalen Transformation auf Seiten relevanter Akteur*innen in Unternehmen (z.B. Personal- und IT-Manager*innen, Mitglieder von Betriebsräten, Arbeitnehmer*innen).
  3. Vermittlung von Kenntnissen über den Zusammenhang zwischen Geschlechterstereotypen und wahrgenommenen beruflichen Anforderungen (Fähigkeiten, Kompetenzen etc.) im Kontext der digitalen Transformation auf Seiten relevanter Akteur*innen und in Instrumenten von Institutionen der Berufsorientierung.
  4. Bereitstellung eines umfassenden Bildes der Mechanismen von Geschlechterstereotypen im Zusammenhang mit digitaler Transformation durch Gegenüberstellung und Integration der Ergebnisse aus den Zielen 1-3 (oben).
  5. Sensibilisierung der relevanten Stakeholder im Kontext der Berufsorientierung (wie z.B. Berufsorientierungseinrichtungen und AMS) und der relevanten Akteur*innen in Unternehmen für diese Mechanismen, um Geschlechterstereotype und ihre negativen Auswirkungen im Kontext der digitalen Transformation zu beseitigen.
  6. Abbau der negativen Auswirkungen von Geschlechterstereotypen durch die (beispielhafte) Entwicklung von konkreten stereotypenfreien Instrumenten, die in der Berufsorientierung und von Unternehmen im Rahmen ihres Personalmanagements eingesetzt werden können. Die quantitative Befragung ermöglicht eine fundierte Analyse des Zusammenhangs zwischen Geschlechterstereotypen und beruflichen Anforderungen im Kontext der digitalen Transformation. Im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen, gegenseitigem Lernen und Abschlussveranstaltungen wird „DigiTyps“ Stakeholder aus Berufsorientierungseinrichtungen, öffentlichen Arbeitsverwaltungen, Sozialpartnerorganisationen, lokalen und regionalen Behörden, NGOs usw. und Vertreter*innen von Unternehmen und anderen institutionellen Arbeitgeber*innen erreichen. Die konkreten, nicht-stereotypen Instrumente, die in der Berufsorientierung und von den Unternehmen im Rahmen ihres Personalmanagements eingesetzt werden sollen, erreichen potenziell eine große Anzahl von Wiedereinsteiger*innen in den Arbeitsmarkt, die ein Interesse an dem entsprechenden Berufsfeld haben. Weiters ist unser Ziel, dass Multiplikator*innen die nicht-stereotypischen Instrumente in ihrem Arbeitskontext anwenden oder nutzen. Durch den Einsatz dieser Instrumente könnten zahlreiche Besucher*innen (Arbeitsmarkt(wieder)einsteiger*innen) der Berufsorientierungseinrichtungen erreicht werden.

Resultate & Impact

Im Forschungsprojekt „DigiTyps“ werden erstens neue empirische Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Geschlechterstereotypen und wahrgenommenen berufsbezogenen Anforderungen (Fähigkeiten, Kompetenzen etc.) im Kontext der digitalen Transformation und über Berufe auf Seiten verschiedener relevanter Akteur*innen und innerhalb der Zielgruppe selbst geliefert. Das Wissen um diese Mechanismen ist eine wesentliche Voraussetzung, um das Bewusstsein für diese Mechanismen zu schärfen und damit ihre negativen Auswirkungen zu verringern. Zweitens wird in dem Projekt durch die Entwicklung konkreter nicht-stereotyper Instrumente, die in der Berufsorientierung und im Personalmanagement von Unternehmen eingesetzt werden können, ein direkter Beitrag zur Beseitigung von Geschlechterstereotypen und deren negativen Auswirkungen in der Berufsorientierung, in der Rekrutierungspraxis, in der betrieblichen Weiterbildung etc. geleistet. Im weiteren Sinne wird dies zu einer relativen Abschwächung von Tendenzen der horizontalen und vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes beitragen, die sich aus Geschlechterstereotypen ergeben und die Beschäftigungsmöglichkeiten entsprechend den tatsächlichen Talenten und Interessen der Zielgruppe torpedieren. Besonderes Gewicht wird auf Ansätze gelegt, die Mädchen und Frauen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen, damit sie gleichermaßen vom digitalen Wandel profitieren können. Um die Ergebnisse und Auswirkungen zu fokussieren und zu vermeiden, dass die Ergebnisse zu allgemein sind, wird im Forschungsprojekt „DigiTpys“ auf Berufe und Ausbildungen in vier Berufsfeldern fokussiert: (1) IKT-bezogene Berufe, (2) andere technische Branchen, (3) (Langzeit-)Pflege und (4) Grund- und Sekundarschulbildung.

Methodisches Vorgehen

Im Forschungsprojekt „DigiTyps“ werden verschiedene methodische Ansätze angewendet und die Strategie der methodischen Triangulation verfolgt:

Um den Zusammenhang zwischen Geschlechterstereotypen und wahrgenommenen beruflichen Anforderungen (Fähigkeiten, Kompetenzen etc.) im Kontext der digitalen Transformation zu untersuchen, werden diese zunächst mittels Online-Befragungen quantitativ erhoben. Im Zuge dessen werden Personen der Zielgruppe (d.h. (Wieder)Einsteiger*innen in den Arbeitsmarkt), relevante Akteur*innen in Einrichtungen der Berufsorientierung und relevante Akteur*innen in Unternehmen und anderer institutioneller Arbeitgeber*innen (Personal- und IT-Verantwortliche als auch Mitglieder von Betriebsräten) adressiert. Die Befragung von Unternehmen und anderen institutionellen Arbeitgeber*innen wird sich auf (1) IKT-bezogene und (2) andere technische Branchen und (3) auf (Langzeit-)Pflege und (4) Grund- und Sekundarschulbildung konzentrieren. Auf diese Weise decken wir die offensichtlichsten Bereiche der „traditionellen“ Geschlechtersegregation ab und adressieren gleichzeitig Berufe und Berufsfelder, bei denen die durch die Digitalisierung zu erwartenden Veränderungen unterschiedlich offensichtlich sind.

Zudem werden auch qualitative Methoden im Rahmen der Analyse des Zusammenhangs zwischen Geschlechterstereotypen, wahrgenommenen beruflichen Anforderungen und der Digitalisierung angewandt:

  • Dazu werden Arbeitsmarkt(wieder)einsteiger*innen als Hauptzielgruppe verschiedener Fokusgruppen einbezogen, um neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Geschlechterstereotype sich im Wandel befinden und welche im Kontext der digitalen Transformation unverändert vorherrschen. Dazu werden wir Fokusgruppen mit unterschiedlichen Zielgruppen (Berufseinsteiger*innen und Wiedereinsteiger*innen) in unterschiedlichen Regionen durchführen. Einstellungen zu Berufen und Kompetenzen sowie die Nutzung digitaler Tools als Instrument der beruflichen Orientierung werden unter einer geschlechtsspezifischen (stereotypen) Perspektive mit den Zielgruppen reflektiert.
  • Zur Analyse berufsbezogener Entwicklungen im Kontext der digitalen Transformation werden qualitative Unternehmensfallanalysen realisiert. Hauptinformationsquellen innerhalb dieser qualitativen Fallanalysen sind qualitative Interviews mit Vertreter*innen der Geschäftsleitung, Personal- und IT-Verantwortlichen sowie ggf. mit Mitgliedern des Betriebsrats. Die Informationen aus den qualitativen Interviews werden vor dem Hintergrund zusätzlicher Informationen aus schriftlichen Quellen und vor dem Hintergrund statistischer Daten über die Entwicklung des jeweiligen Unternehmensbereichs interpretiert.
  • Die von Berufsorientierungseinrichtungen eingesetzten Instrumente werden mittels Inhaltsanalyse, Bildanalyse sowie teilnehmender Beobachtung im Hinblick auf die Nutzung digitaler Werkzeuge analysiert.

Die Ergebnisse dieser Analyseschritte fließen in einen mehrstufigen Praxistransfer-Ansatz ein, der

1) zu einer Sensibilisierung verschiedener zentraler Stakeholder (Berufsorientierungseinrichtungen, AMS, Sozialpartner*innenorganisationen usw.) sowie relevanter Akteur*innen in Unternehmen und anderer institutioneller Arbeitgeber*innen führen soll und

2) zu konkreten, nicht-stereotypisierten Instrumenten, die in der Berufsorientierung und von Unternehmen bei der Rekrutierung und in Bezug auf Unternehmensprofile eingesetzt werden können.


Verwendete Literatur

Council of the European Union (2017). Proposal for an Interinstitutional Proclamation on the European Pillar of Social Rights, General Secretariat of the Council, Brussels.

EIGE (European Initiative for Gender Equality) (2018a). Study and work in the EU: set apart by gender. Review of the implementation of the Beijing Platform for Action in the EU Member States, Publications Office of the European Union, Luxembourg.

EIGE (European Initiative for Gender Equality) (2018b). Gender equality and digitalisation in the European Union, EIGE Factsheet, European Institute for Gender Equality, Vilnius.

European Commission (2017a). White paper on the future of Europe : reflections and scenarios for the EU27 by 2025, Publications Office of the European Union, Brussels.

European Commission (2017b). Commission Communication: EU Action Plan 2017-2019. Tackling the gender pay gap, European Commission, Brussels.

European Commission (2020). Commission Communication: A Union of Equality: Gender Equality Strategy 2020-2025, European Commission, Brussels.

Franken, Swetlana/Johanna Schenk/Malte Wattenberg (2019). Gender und Digitalisierung: Untersuchung genderspezifischer Einstellungen von Young Professionals in Bezug auf Digitalisierung und Industrie 4.0. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt der FH Bielefeld, Bielefeld.

Heilman, Madeline E. (2012). Gender stereotypes and workplace bias, in: Research in Organizational Behavior, Vol. 32, 2012, 113–135.

Leitner, Andrea/Anna Dibiasi (2015). Frauenberufe – Männerberufe. Ursachen und Wirkungen der beruflichen Segregation in Österreich und Wien, in: MA57 Frauenabteilung der Stadt Wien (ed.): Trotz Arbeit arm. Frauen und Segregation am Arbeitsmarkt. Frauen.Wissen.Wien (2). MA57 – Frauenabteilung der Stadt Wien., Wien, 41–99.

Leitner, Andrea/Margareta Kreimer/Theresa Hager/Mila Jonjic (2018). Gender Segregation in Ausbildung und Beruf, presentation, 7. FEMÖK workshop, 23. November 2018, Vienna.

Trauth, Eileen M./Curtis C. Cain/K.D. Joshi/Lynette Kvasny/Kayla M. Booth (2016). The Influence of Gender-Ethnic Intersectionality on Gender Stereotypes about IT Skills and Knowledge, in: The Data Base for Advances in Information Systems, Vol. 47(3), 9–39.